Kunst und Kultur wurden im Rahmen der Corona-Krise das Label »nicht System relevant« verpasst. Dabei ist es vor allem die Kunst, die es auf teilweise unkonventionelle Art und Weise schafft, soziale und politische Themen zu verhandeln, sie anzuprangern und Momente der Begegnung zu schaffen zwischen unterschiedlichen Menschen. Kunst kann sensibilisieren, laut sein und polarisieren. Gleichzeitig ist Kunst auch immer die Frage von Zugängen, nicht jede Kunst kann und will verstanden werden. Im Rahmen unserer Kampagne #toxicmalent durften wir mit der Illustratorin Sarah Böttcher zusammenarbeiten. Ausgehend von unseren groben Ideen hat sie mit ihr ihrem ganz eigenen Stil die finalen Plakatentwürfe gestaltet und so ihren Teil dazu beigetragen, die geschlechtsspezifische Dimension von Digitaler Gewalt auf künstlerische Art und Weise in den öffentlichen Raum und damit auch in einen gesellschaftlichen Diskurs zu integrieren. Wir sprechen mit ihr über die Arbeit hinter den Kulissen, woraus sie Inspiration schöpft und wie sie Kunst und Corona verhandelt.
Wer oder was inspiriert dich?
Meine Umgebung, vor allem gesellschaftlich und politisch relevante Themen, aber auch Situationen, in den ich mich persönlich befinde. Ansonsten natürlich andere Illustrator*innen und Künstler*innen, Autor*innen, etc. All-time favorites sind da zum Beispiel Anna Haifisch oder Nick Drnaso.
Wenn du deine Beziehung zu Kunst in drei Wörtern ausdrücken müsstest, welche wären es?
Es ist kompliziert 😉
Mit welchen Themen setzt du dich im Rahmen deiner Illustrationen auseinander?
Die Auswahl meiner Themen ist stark abhängig vom zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext. In meinen freien Arbeiten setze ich mich aktuell vor allem mit verschiedenen Aspekten von Mental Health auseinander. Ansonsten arbeite ich mit anderen Gestalter*innen an einer Publikation zum Thema Diversität und Ungleichheit; das, aber auch die Arbeit an eurer Kampagne sind besonders schön, um politische und gestalterische Interessen zu verbinden.
Die Pandemie hat im Frühjahr die ganze Welt lahmgelegt. Bei manchen hat das zu kreativen Schaffungsprozessen geführt, andere hatten eher das Gefühl, überfordert zu sein von den vielen neuen Online-Angeboten und dem kollektiven Bedürfnis, die Ausnahmesituation auch künstlerisch zu verarbeiten. Wie ist es dir ergangen?
Zu Beginn habe ich relativ viel an künstlerischen Projekten und Auftragsarbeiten gearbeitet, habe eigene Projekte zur neugewonnenen (haha) Distanz gemacht und an der Kampagne gearbeitet. Das digitale Semester habe ich dann aber als ziemlich lähmend empfunden und darüber viel Kraft und Motivation für eigene Arbeiten verloren.
Für mich war es wichtig, mich nicht zur Produktivität zu zwingen und auf die Schwierigkeiten der Pandemie auch mit Nichtstun reagieren zu können. Mittlerweile habe ich einen ganz guten Mittelweg gefunden und arbeite wieder an neuen Projekten.
Seit 2019 ist klar, die Litfaßsäulen verschwinden aus Berlin. Allgemein verlagert sich vieles immer weiter in den digitalen Raum. Worin besteht für dich der Unterschied zwischen Kunst im analogen und digitalen Raum – braucht es beides?
Ich glaube beides ist nicht voneinander zu trennen oder wegzudenken. Für Künstler*innen ist der digitale Raum wahrscheinlich die einfachste Möglichkeit, ihre Arbeiten zu publizieren und einer breiten Masse zugänglich zu machen. Zumindest für mich ist es aber nochmal ein ganz anderes Gefühl, die eigenen Plakate im Stadtraum oder die eigenen Bücher gedruckt zu sehen. Das gibt der eigenen Arbeit eine ganz andere Wertigkeit.
Was findest du an der Kampagne besonders wichtig? Was hat dich dazu bewogen, Teil davon zu sein?
Das Thema der Digitalen Gewalt beschreibt Erfahrungen, die sehr sehr viele Personen täglich machen und die man als Betroffene häufig als irgendwie gegeben hinnimmt. Ich finde es super wichtig, solche Formen der Gewalt als das zu benennen, was sie sind und in einer breiten Öffentlichkeit zu diskutieren. Die Frage, ob eine solche Kampagne notwendig ist, hat sich mir gar nicht gestellt und ich habe mich von Anfang an gefreut, Teil des Ganzen sein zu dürfen.
Wie bist du gestalterisch vorgegangen? Was waren die Herausforderungen?
Bei der Gestaltung der Plakate ging es ja vor allem darum, thematisch passende Charaktere zu den verschiedenen Formen der Digitalen Gewalt zu entwickeln. Die Schwierigkeit bestand für mich darin, die physisch unsichtbare Gewalt anhand der Gewaltausübenden und Betroffenen sichtbar zu machen. Ansonsten habe ich versucht, mit immer wiederkehrenden Motiven wie den zerrissenen Kabeln zu arbeiten, um die Figuren miteinander in Beziehung zu setzen.
Du arbeitest viel mit Abstraktionen und humoristischen Elementen – auch im Rahmen der Plakatkampagne, vor allem bei den Täterplakaten (Lukas und Jochen) hier evtl.: Plakaten „Lukas- unerwünschter Hobbydickpicker“ und „Jochen- Wenns-gerade-passt-Feminist“. Damit schaffst du es, in den Diskurs um ein ernstes und wichtiges Thema eine humoristische Ebene zu integrieren. Ist dir das generell bei deinen Arbeiten wichtig?
Humor spielt bei fast all meinen Arbeiten eine Rolle. Vor allem bei ernsthaften oder traurigen Themen können humorvolle Elemente als eine Art Coping-Mechanismus dienen und damit den Zugang erleichtern. Bei der Plakataktion war es mir wichtig, dass die Gestaltung nicht belehrend oder den Zeigefinger erhebend wirkt, sondern eher als eine Art Comic Relief verstanden werden kann.
Lea (SGU)
Lea hat nach dem Abitur den Schnellzug Richtung Berlin genommen, und führt hier seit mehren Jahren eine monogame Liebesziehung mit der Hauptstadt selbst. Hier hat sie Kulturwissenschaft studiert, Stimmrecht gegen Unrecht mitgegründet und die Bekanntschaft gemacht, mit intersektionalem Feminismus, Mansplainern und Spreadern. Wenn sie nicht gerade im digitalen SGU Wohnzimmer mit den anderen die Strippen zieht, steht sie bei »Safe Space« vor der Kamera. Dem neuen Jugendformat vom Rbb.