Zuhören / Raum halten

Juli 22, 2022

Autor*in:

Sarah Marcinkowski

Worum geht es?

Stimmen und vor allem das, wovon sie erzählen, bilden Ausgangspunkt und Kern der Soundarbeit von Marieke Helmke und Camilla Goecke. Es sind gesammelte und geteilte Erfahrungen mit sexueller Diskriminerung, Belästigung und Gewalt an der UdK, die auf ein Muster, eine strukturelle Dimension verweisen, die viel zu oft unsichtbar bleibt und gleichzeitig in alle Räume - gesellschaftlich und institutionell - gewaltvoll einwirkt.

Triggerwarnung: Im folgenden Text geht es um sexualisierte Diskriminierung, Belästigung und Gewalt. Es wird in direkter und indirekter Art auf Inhalte verwiesen, die explizite Situationen und Erfahrungen von Betroffenen aufgreifen.

Ein schlichter Raum, hohe Wände. Novembersonne fällt durch die großen Fenster, fällt auf den grauen Boden, auf die Lautsprecher vor den schwarzen Stoffbahnen in den Ecken, auf die hölzerne Plattform, die einen Teil des Raums füllt. Auf ihren zwei Ebenen liegen Kopfhörer, durch lange Kabel mit der quadratischen Plattform verbunden. Menschen bewegen sich ganz leise durch den Raum, murmeln, lesen, sitzen – und hören zu. Den Stimmen, die über Kopfhörer zu hören sind und sich in unregelmäßigen Abständen auch über Lautsprecher durch den Raum tragen, ihn ausfüllen. Der Raum – eigentlich ein Foto- und Videostudio – befindet sich im Hauptgebäude der Berliner Universität der Künste [UdK]; die hölzerne Plattform ist Teil einer Soundarbeit, an der die beiden Studierenden Camilla Goecke und Marieke Helmke seit Sommer 2019 arbeiten – ein Projekt, das sich in einem fortlaufenden Prozess befindet. Die Stimmen und vielmehr das, wovon sie erzählen, bilden Ausgangspunkt und Kern der Soundarbeit, es sind geteilte Erfahrungen mit sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt an der UdK¹, die auf ein Muster, eine strukturelle Dimension verweisen, die viel zu oft unsichtbar bleibt und gleichzeitig in alle Räume – gesellschaftlich und institutionell – gewaltvoll einwirkt. Die daraus resultierenden Machtgefälle entscheiden darüber, wer sich dabei wie frei in diesen Räumen bewegen und wer sie ohne Konsequenzen für die eigene Zukunft durchlaufen kann. Gerade der institutionelle Kontext des Projekts und die Tatsache, dass für so viele FLINTA*¹ Studierende- und Alumnae die bewusste und unbewusste Auseinandersetzung mit dem Thema längst zu einer Normalität, die keine sein sollte, gehört, verweist einmal mehr auf die Scheinhaftigkeit von Universitäten, Hochschulen und anderen Ausbildungsbetrieben als vermeintlich aufgeklärte, progressive Räume. Machtmissbrauch findet dabei niemals in einem Vakuum statt wie auch als FLINTA*² die eigenen Berührungspunkte, die eigenen durchlebten Erfahrungen in diesem Kontext niemals Einzelfälle sind.

Die subjektiven Erzählungen ergeben ein Muster, eine Struktur, die unsichtbar, aber immer spürbar ist

Im Sommer 2019 beginnt sich Camilla Goecke, die an der UdK Kunst und Geschichte an der HU studiert, mit Kommiliton*innen über die jeweiligen eigenen Erfahrungen, das sich-unwohl-fühlen und die Art und Weise, wie sich vor allem endo cis männliche Professoren innerhalb der Uni Räume nehmen, auszutauschen – die subjektiven Erzählungen fügen sich wie ein Flickenteppich zusammen und ergeben ein Muster, eine Struktur, die unsichtbar, aber immer spürbar ist – und beschließt daraufhin, die Geschichten und Erfahrungen mit sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt im Kontext der UdK in einem künstlerischen Projekt zu sammeln und zu verarbeiten. Worauf es dabei konkret hinauslaufen soll, ist anfangs noch nicht ganz klar – vielleicht in Richtung Film, vielleicht Sound, auf jeden Fall aber auf die Arbeit mit Medien im Allgemeinen. Weil Camilla schon während des ersten Austauschens so viel erfährt, entscheidet sie sich schließlich für die Interviewform und fühlt erst einmal vor, wer überhaupt okay damit wäre, in diesem sehr persönlichen Format über das Erlebte zu sprechen – denn ein offener Umgang mit einem so schmerzhaften Thema ist für viele FLINTA* alles andere als selbstverständlich. Camillas erste Gesprächspartnerin ist Marieke, die an der UdK den Bachelor Bildende Kunst mit Nebenfach an der FU gemacht hat, selbst auch schon Erfahrung mit Interviewprojekten hat und hilfreiches Feedback geben kann – für Camilla ein wichtiger erster Austausch, gerade weil beide neben ihrer professionellen Zusammenarbeit auch gut befreundet sind. Im Anschluss führt Camilla weitere Gespräche und tauscht sich weiter aus, spürt aber auch immer mehr Druck und Unsicherheit, ist unschlüssig, was sie mit den Interviews und vor allem den Inhalten machen soll. Umso schöner ist es, als schließlich Marieke – mit dem Okay von Camillas bisherigen Interviewpartner*innen – in dieser schwierigen Phase mit einsteigt und sich beide gegenseitig unterstützen können. Anfang des Jahres [Anm.: 2020] rückt die Arbeit am gemeinsamen Projekt dann eher in den Hintergrund – in Reaktion auf die extremen Geschichten beginnen die beiden, sich in der Uni zu vernetzen und treffen die Frauenbeauftragte der UdK, Camilla begleitet eine betroffene Person, den Fall zu melden, Marieke versucht mit Kommiliton*innen ein Vertrauenscafé an der Uni zu planen – die beiden wollen handeln. »Ich erinnere mich nur daran, dass das eine super schwierige Zeit war und wir uns viel ausgetauscht haben und ganz verzweifelt und wütend, aber auch motiviert waren, etwas zu machen.«, erzählt Marieke. Geplant ist, die Arbeit zum Rundgang 2020 zu zeigen – die nun insgesamt neun Interviews und Inhalte, die Beweise, dass sexualisierte Diskriminierung, Belästigung und Gewalt ein Netz bilden, in dem sich Täter*innen oft frei von Konsequenzen bewegen können, während Betroffene ungeschützt sind und kaum bis gar keinen Handlungsraum haben; kurz gesagt das, was an der Uni passiert, auch in genau diese Räumlichkeiten zu bringen. Der UdK-Rundgang fällt schließlich pandemiebedingt aus, Marieke und Camilla erhalten jedoch kurze Zeit später die Möglichkeit, die Arbeit innerhalb von Camillas Klasse in einer Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien erstmals zu zeigen. Nach langem Hin- und Her-Überlegen entscheiden sich beide schließlich dafür – es soll vor allem ein erster Test für den späteren UdK-Rundgang werden. Jetzt fängt die richtige Arbeit mit dem eigentlichen Gegenstand und Material – den Interviews – an: Die beiden hören sich einzeln nochmal alle Aufnahmen an, schreiben Zitate heraus, markieren wichtige Stellen und erarbeiten einen roten Faden, der später als zusammenfassendes Textdokument in 12 Punkten rechts neben der Tür in Raum 226 des Rundgangs hängen wird. Es geht dabei zunächst darum, viele Fragen erst einmal im kleinen Rahmen zu besprechen und verschiedene Szenarien durchzugehen – beispielsweise, wenn Täter*innen die Ausschnitte hören und die Frage, wie Camilla und Marieke dabei Betroffene und sich selbst schützen können. Zentral für die Arbeit der beiden ist immer auch der Aspekt Einverständnis – bevor die Inhalte in einen öffentlichen Kontext, ob Bethanien-Ausstellung oder Rundgang, bewegt werden, erfragen die beiden das Einverständnis der beteiligten Personen, halten immer wieder Rücksprache: In einem Vertrag halten sie gemeinsam mit den interviewten Personen fest, welche Passagen verwendet werden dürfen und was zensiert werden muss.

»Welche Stimmen werden übertönt, eventuell auch durch meine eigene? Durch welchen ›Filter‹ höre ich zu? Findet meine Stimme Raum und Resonanz?«

Die Ausstellung rückt jetzt näher, Camilla und Marieke arbeiten viel an den Interviews – schneiden, hören noch einmal alles an; die hölzernen Sitz-Podeste entstehen und generell läuft die Arbeit auf Hochtouren, ist anstrengend und emotional wie körperlich fordernd, was sich auch über den Zeitraum der Ausstellung selbst strecken wird. Als Gruppenausstellung von Camillas Klasse, die sich eher im Feld Malerei bewegt, ist der Kontext ein schwieriger; die beiden haben oft das Gefühl, die ›Daseinsberechtigung‹ des Projekts als künstlerische Arbeit rechtfertigen zu müssen, gerade im Vergleich zu anderen Arbeiten aus Malerei und Skulptur, und nicht richtig wertgeschätzt zu werden. Es sind viele kleine Faktoren, die Unbehagen bereiten, dazu kommt, dass Camilla und Marieke während dieser Zeit generell mit vielen Dingen beschäftigt sind und nur wenig vor Ort sein können. Um Hören und vor allem Zuhören geht es aber schon damals: Der Sound der Interviews soll in einen räumlichen Kontext gesetzt werden, »[…] zum einen, damit sich Besuchende dem nicht direkt entziehen können, aber auch als Aussage, die Aussagen selbst eben nicht nur leise über die Kopfhörer abzuspielen«, beschreibt Camilla. Der ganze emotionale Raum ist dabei hörbar, die emotionale Arbeit, die Camilla während der Interviews im Moment des Zuhörens leistet, die Verantwortung, den Interview-Raum zu halten: »Wir hören ganz genau, wie Camilla zugehört hat und auch diese ganzen Momente dazwischen – Momente der Stille oder, dass die Stimme vielleicht zwischendurch bricht – das finde ich unglaublich stark, denn genau das ist auch Teil der Arbeit.«, ergänzt Marieke. Für die beiden ist Sound daher außer Frage das geeignete Medium für ihre künstlerische Praxis – in dem Textdokument für den späteren UdK-Rundgang heißt es dazu: »Zum einen ist es ein von endo cis Männern dominiertes Medium, zum anderen empfinden wir das aktive Zuhören als wichtige Strategie, um auf diese Thematik aufmerksam zu machen. Durch aktives Zuhören werden marginalisierte Stimmen in Hinblick auf sexualisierte Diskriminierung, Belästigung und Gewalt an der UdK hör- und sichtbar.« Um genau diesen Prozess geht es, und in der Konsequenz um ein bewusstes, aktives Zuhören und ein Hinterfragen der eigenen Position als Zuhörer*in: »Wie höre ich zu? Welchen Stimmen schenke ich Beachtung? Welche Stimmen werden übertönt, eventuell auch durch meine eigene? Durch welchen ›Filter‹ höre ich zu? Findet meine Stimme Raum und Resonanz?«, heißt es dazu weiter im gemeinsamen Textdokument. Während sich die Installation durch das Podest und die angegliederten Kopfhörer in der Bethanien-Ausstellung gut umsetzen lässt, ist die Hör- und damit auch Sichtbarkeit über Lautsprecher hier, in der Praxis eher schwierig. Damit sich die Stimmen trotzdem auch über die Kopfhörer hinaus in den Raum tragen, lesen Marieke und Camilla die Zitate und den herausgearbeiteten roten Faden an einem Tag schließlich, auf den Podesten stehend, im Wechsel Deutsch Englisch laut vor. Zu beiden Seiten hängen außerdem Banner mit den aufgedruckten Zitaten und ihrer Übersetzung. Das laute Vorlesen der Inhalte, das ›Verräumlichen‹ dessen, was die Betroffenen geteilt haben, ist für beide eine wichtige Erfahrung, fühlt sich aber auch sehr schwer an. Rückblickend ist die Bethanien-Ausstellung ein wichtiger Probedurchlauf für den UdK-Rundgang, der im Herbst 2021 folgen wird – es tut gut, die Arbeit in eine Form zu bringen – von den Interviews über die geschnittene Fassung bis zu der finalen Idee, zwischen konzentriertem Hören über Kopfhörer und lauten Stimmen im Raum. Im konzeptionellen Übergang von der Bethanien-Ausstellung zum späteren Rundgang rückt Camillas anfängliche Idee einer Soundcollage in den Vordergrund; verschiedene Stimmen sprechen verschiedene Ausschnitte aus den Interviews, ein inhaltliches Sortieren dieser Ausschnitte soll als Collage die strukturelle Dimension von sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt sichtbar machen.

Auffallend und vor allem bezeichnend ist im Kontext des Rundgang-Wochenendes auch, wer nicht auftaucht und sich die Zeit nicht nimmt

Als der auf Ende Oktober letzten Jahres verschobene Rundgang an der UdK näher rückt, beginnt für Camilla und Marieke, wie auch vor der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien-Ausstellung, wieder eine sehr produktive Phase – die beiden sprechen sich gut ab und tauschen sich viel darüber aus, wo die eigenen Grenzen liegen und welche Kapazitäten vorhanden sind, hören sich nochmal alle Interviews an und lassen die Zitate von verschiedenen Personen einsprechen. »Wir haben einfach sehr gründlich geplant und dann hat alles gut funktioniert. Ich habe zum Beispiel auch gemerkt, dass ich mich bei diesem Rundgang viel besser um mich selbst gekümmert habe als bei der Bethanien-Ausstellung und deswegen auch viel mehr Kapazität hatte, den Raum zu halten.«, erzählt Marieke. Während bei der Bethanien-Ausstellung kaum Zeit und Ressourcen vorhanden waren, um auch zu überlegen, wie mensch mit Reaktionen umgehen soll, haben Camilla und Marieke jetzt mehr Vorlauf dafür. Ihnen ist bewusst, dass sie die Soundarbeit zum ersten Mal in die Räume der Uni bringen werden und es durch den Rundgang und das Programmheft wahrscheinlich viel Publikum geben wird. Auch, dass Täter*innen vorbeikommen, und generell verschiedenste potentielle Szenarien eintreten könnten. Die beiden stellen sich in der Konsequenz die negativsten Szenarien vor, die eintreten könnten, um zu überlegen, wie auf sie zu reagieren wäre: »Letztendlich ist es gar nicht eingetreten, dass wir zum Beispiel eine extreme Anfeindung oder ähnliches erfahren haben, aber es war trotzdem gut, dass wir das vorab gemacht haben.«, ergänzt Camilla. Den Rundgang erlebt sie persönlich sehr ambivalent – es ist schön, dass das Projekt auf viel Resonanz stößt, dass viele Menschen dadurch erreicht werden, dass sie sich die Arbeit anhören, dass sie zuhören. Camilla und Marieke erhalten viel unterschiedliches Feedback; viele Besucher*innen bedanken sich, mal mit Worten, mal über einen Blick oder eine Geste. Klar ist für die beiden dabei auch, dass so eine Arbeit nicht nur auf Anerkennung und positive Reaktionen stoßen würde: Insgesamt kommen viele Menschen und bleiben, einige wiederum gucken nur kurz in den Raum und gehen schnell wieder, nach dem Motto ›Ach so eine Arbeit‹. Auffallend und vor allem bezeichnend ist im Kontext des Rundgang-Wochenendes auch, wer nicht auftaucht und sich die Zeit nicht nimmt: »[…], gerade, dass sich endo cis männliche hetero Personen nicht Zeit und Raum dafür nehmen, dieser Arbeit zuzuhören, finde ich sehr fragwürdig. Vor allem die, die sich für aufgeschlossen halten – das finde ich echt kritisch.«, sagt Camilla. Auch seitens der [vorwiegend durch den weißen und endo cis männlich dominierten Körper geprägten] Belegschaft der UdK selbst – ob Hochschulleitung oder Dekanat – gibt es wenig bis gar keine Bereitschaft, sich über die Soundarbeit mit der Thematik auseinanderzusetzen, obwohl gerade das unbedingt notwendig wäre. Camilla und Marieke haben zwar das Resümee gezogen, keine Energie darauf zu verschwenden, dass gerade diese Personen nicht da waren, die Tatsache an sich spricht aber Bände.

Für das Gefühl im eigenen Körper, dass etwas nicht stimmt, eine Sprache finden

Es gibt auch Gegenbeispiele – Rückmeldungen von Personen, die sich durch das Projekt für das Thema sensibilisiert haben, sich bedanken oder die nach der Ausstellung eine Nachricht schreiben. Insgesamt fällt es Marieke und Camilla nicht leicht, über die Reaktionen zu sprechen, es ist viel, ist überwältigend; die beiden sind das ganze Wochenende über vor Ort und vor allem im Raum, sind permanente Ansprechpartnerinnen für das Thema. Viele Personen kommen zu ihnen und teilen eigene Erfahrungen, die sie gerade erleben oder erlebt haben, vielleicht auch schon vor Jahrzehnten, und so unmittelbar zu beobachten, wie diese Menschen reagieren, vielleicht auch eher abweisende Reaktionen anderer Besuchender zu ignorieren und gleichzeitig immer offen für Austausch zu sein, ist anstrengend: »Es war einfach erschöpfend, diesen Raum zu halten, Ansprechperson zu sein und auch Personen mit ganz unterschiedlichen Emotionen auf- oder abzufangen oder das abzubekommen – nicht nur im Sinne von berührt-sein, sondern auch krasser.«, erzählt Camilla. Was vorher viel Arbeit und Austausch vor allem zwischen den beiden ist, synchronisiert sich jetzt auf anderer Ebene; »Die Reaktionen, die wir bekommen haben, haben uns in dem Gefühl bestätigt, dass es super wichtig ist, was wir machen.«, beschreibt Marieke. Inzwischen sind es fast zweieinhalb Jahre, die der Arbeitsprozess andauert, die Beschäftigung mit dem Thema – angefangen mit dem Gefühl im eigenen Körper, dass etwas nicht stimmt, »Also, dass irgendeine Situation unangenehm ist und, dass wir uns irgendwie unwohl fühlen«, fügt Marieke hinzu. »Dafür eine Sprache zu finden und genau das in den Raum zu bringen und Resonanz zu bekommen, synchronisiert mich total mit meinem eigenen Gefühl.«

Sexualisierte Diskriminierung, Belästigung und Gewalt ist immer strukturell bedingt; es geht vor allem darum, wer in welchen Positionen sitzt und in welchem Umfeld Täter*innen eigentlich Macht haben

Die Räume von Hochschulen und Universitäten sind keine sicheren Räume. Es sind patriarchale Räume, die von vor allem endo cis männlichen, weißen Studierenden wie Dozierenden eingenommen werden. Räume, in denen sich diese Personen frei bewegen können, während vor allem BIPoC und FLINTA* den Strukturen sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt ausgesetzt und gegenüber jeglicher Formen von Übergriffen nicht ausreichend geschützt sind. Es sind Räume, in denen patriarchale Machthierarchien aufrechterhalten und durch übergriffiges Verhalten bestimmter Personen immer wieder reproduziert werden. Räume, in denen dieses Verhalten auch durch Sprache verstärkt wird, Übergriffigkeit und Grenzüberschreitung im Allgemeinen allzu oft relativiert und normalisiert werden und den Stimmen von Betroffenen häufig nicht zugehört wird. Sexualisierte Diskriminierung, Belästigung und Gewalt ist immer strukturell bedingt; es geht vor allem darum, wer in welchen Positionen sitzt und in welchem Umfeld Täter*innen eigentlich Macht haben. Im Kontext von Bildungsinstitutionen wie der UdK dehnt sich dieses Machtfeld nicht nur auf das Studium der betroffenen Personen aus, sondern beeinflusst auch die weitere Laufbahn, etwa weil Täter*innen in bestimmten Jurys oder Komitees sitzen, Karriere machen und auch in der Berufsbubble eng vernetzt sind, also über Zugang und Ausschluss bestimmen. Das hat auch weitreichende Konsequenzen für das eigene Lernen, das eigene künstlerische Arbeiten – Betroffene müssen bewusst Räume meiden, um bestimmten Personen nicht zu begegnen, müssen Kurse wechseln, werden in ihrem Studium ausgebremst und können sich ganz einfach in den Räumen der Uni oder Hochschule nicht sicher fühlen. Es sind auch dieselben Strukturen, die es so schwer machen, dagegen vorzugehen: Viele Betroffene wollen und können aus Gefühlen der Scham heraus nicht offen sprechen und / oder haben Angst vor Konsequenzen, und generell fehlt es weitreichend an Unterstützung, vor allem seitens der Uni oder Hochschule selbst, aber auch durch Kommiliton*innen. An dieser Stelle muss auch unbedingt angefügt werden, dass das Bild Täter*in differenziert betrachtet werden muss; dass es zum Beispiel Abstufungen gibt und, dass vor allem auch mitgedacht werden muss, wer diese Person dabei schützt, wer in übergriffigen Situationen – egal ob psychisch oder physisch – wegsieht, nicht eingreift, nichts sagt. Dieses Verhalten ist auch und gerade innerhalb des Kollegiums kein Einzelfall, sondern ein Muster; wenn sich Personen etwa untereinander schützen, auch vielleicht aus der eigenen Angst heraus, aber immer auch zu Lasten der Betroffenen. »Und natürlich auch wenn Du zum Beispiel als studierende Person etwas beobachtest und nicht einschreitest oder Dich beschwerst – ob in der Situation oder danach – also wenn Du Zeug*in bist, aber die Situation nicht als solche wahrnimmst und nicht handelst. Das ist etwas, dass dieses System so extrem stützt.«, sagt Camilla. Auch der Aspekt Gaslighting spielt hier eine große Rolle – konkret, wenn Betroffene die Kraft aufbringen und sich an andere wenden, das eigene Erlebte dann aber relativiert oder geleugnet wird. Marieke fügt hinzu: »Was dabei auch nicht vergessen werden darf, ist auch die Situation, in der sich eine betroffene Person einer anderen mitteilt und diese dann aber selbst irritiert ist oder nicht weiter weiß und dann den Ball wieder zurück gibt, so im Sinne von ›Oh ich weiß jetzt auch nicht‹ – das ist auch super schwierig.« Das Fehlen von Solidarität und einer Infrastruktur der Unterstützung hat also auch verschiedene Nuancen, ist immer eng gekoppelt an eine gesellschaftliche Ebene, an die Frage, wie aufgeklärt Menschen sind und wie sie Formen der Diskriminierung einordnen können. Hier lässt sich nochmal auf die Fragen aus dem Textdokument von Camilla und Marieke verweisen: »Wie höre ich zu? Welchen Stimmen schenke ich Beachtung? Welche Stimmen werden übertönt, eventuell auch durch meine eigene? Durch welchen ›Filter‹ höre ich zu? Findet meine Stimme Raum und Resonanz?« Neben einem ständigen Reflektieren der eigenen Position, der eigenen Privilegien, ist es vor allem auch Aufgabe der Institutionen und vor allem Bildungsinstitutionen – hier ganz konkret die Uni – die Studierenden wie Mitarbeitenden aufzuklären, sodass sie lernen, genau das einzuordnen. Fakt ist, dass alle Studierenden die Uni oder Hochschule anders durchlaufen und auch anders zum Abschluss kommen – gerade BIPoC und FLINTA* Personen werden häufig durch bestimmte Erfahrungen ausgebremst, während andere die Ausbildung oder das Studium frei von Konsequenzen für die eigene Zukunft beenden können. Es ist daher umso wichtiger und generell absolute Notwendigkeit, dass diese Tatsache sichtbar gemacht wird, dass Betroffenen endlich zugehört wird und ein Support-Netzwerk, auch seitens der jeweiligen Institutionen entsteht. Zeit, Energie und Zugang zu Ressourcen spielen dabei eine große Rolle: Nicht jede*r, und vor allem nicht jede betroffene Person, hat dabei den gleichen Zugang zu bestimmten Ressourcen und kann sich über Studium und Lohnarbeit hinaus mit aktivistischer Arbeit beschäftigen – auch das ist strukturell verankert, erklärt Marieke: »Es ist eine Tatsache, dass aktivistische Arbeit die akademische Karriere ja irgendwie ausbremst, weil dann Zeit und Ressourcen und Energie erstmal da rein fließen und das ist ja auch strukturell, denn die Uni könnte auch sagen ›Hey für diese Arbeit bekommt Ihr so und so viele Leistungspunkte oder ein Budget für tiefergehende Forschung – und das passiert einfach nicht.« Das beobachten die beiden auch bei anderen studentischen Initiativen und Gruppen – die Ressourcen sind ausgeschöpft, alle sind völlig überarbeitet und machen das hauptsächlich ehrenamtlich, und es ist dabei aber genau diese aktivistische Arbeit, die langfristig den strukturellen Rahmen der Institutionen aufbrechen kann. Umso wichtiger wird in diesem Kontext der gemeinsame Austausch, das Vernetzen – Camilla und Marieke sind daher schon seit Längerem nicht nur in Kontakt mit Kommiliton*innen und ehemaligen Studierenden, sondern inzwischen auch mit anderen Hochschulen und Initiativen. Es stärkt, neben der Soundarbeit einen Raum zu haben, um über genau das zu sprechen, was sonst innerhalb einer Ausstellungssituation unsichtbar bleiben würde. Das Sprechen über Schwierigkeiten im Prozess, über emotionale Arbeit, über das, was mensch während des Rundgangs nicht sieht; darüber, wie fordernd es ist, einen Raum für das Erlebte und das darüber-Sprechen zu schaffen – und ihn zu halten. »Vernetzung ist immer super wichtig, denn es gibt so viele andere Gruppen und Personen, die genau dazu und zu überschneidenden Themen arbeiten, auch künstlerisch, und ich wünschte, wir hätten mehr Zeit für mehr Vernetzung. Ich glaube, die Vorträge an anderen Hochschulen sind genauso Teil der Arbeit wie unsere Installation.«, fügt Marieke an. Zentral ist in diesem Kontext auch der Aspekt Wertschätzung – für die Vorträge, die die beiden bisher gehalten haben, bekommen sie ein Honorar, und das ist richtig und wichtig, gerade weil Aktivismus viel Zeit und Energie beansprucht und vor allem die emotionale Arbeit, aber auch das Organisatorische oft unsichtbar bleibt. Es geht dabei auch um Fragen wie: »Wessen Arbeit mache ich hier eigentlich? Wer sollte diese Arbeit machen? Warum gibt es niemanden, der diese Arbeit bezahlt macht?«

Hört Betroffenen endlich zu!

Die Vernetzung mit anderen Hochschulen macht auch deutlich, dass sich die Strukturen, das was Marieke und Camilla als roten Faden herausgearbeitet haben, auch durch andere Institutionen zieht: »Es ist ganz klar, dass Menschen wiederholt zu uns sagen ›Ich habe das und das erlebt‹, oder ›Ich habe das ähnlich erlebt‹, und das zeigt wieder die strukturelle Dimension dahinter.«, sagt Camilla. In ihrem Textdokument weisen die beiden auch darauf hin, dass ihre gemeinsame Arbeit »nur einen kleinen Ausschnitt von sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt an der UdK aufzeigt« und sprechen sich für eine hochschulübergreifende Studie sowie eine jährliche Befragung der Studierenden aus. Institutionen und vor allem Bildungsinstitutionen wie die UdK, die mit einem offenen, kreativen Lernklima und einer vermeintlich progressiven Agenda werben, müssen endlich Verantwortung übernehmen und sich dafür einsetzen, dass Betroffene aufgefangen und durch ein möglichst niedrigschwelliges Beratungsnetzwerk unterstützt werden, Täter*innen endlich zur Rechenschaft gezogen werden und Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit aktiv vorangetrieben wird, um den Strukturen sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt unmittelbar entgegen zu wirken. Camilla und Marieke rufen im Weiteren auch Studierende dazu auf, sich mit diesen Strukturen auseinanderzusetzen und gerade als nicht-betroffene Person die eigene Position zu reflektieren – und zuzuhören!

¹ Bei der Definition von sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt beziehen sich Camilla und Marieke auf eine Broschüre, die von der Frauenbeauftragten der UdK herausgegeben wurde. Was die beiden in jedem Fall ergänzen ist, dass die Definition in Hinblick auf Mehrfachdiskriminierung immer intersektional gelesen werden muss. Auch weitere Ebenen wie beispielsweise emotionale und digitale Gewalt müssen mitgedacht werden. Ein Auszug ist hier zu finden: »Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt bezeichnet ein geschlechts- bezogenes Verhalten, das sich gegen die psychische und physische Integrität eines Gegenübers richtet. Es beschreibt eine Form des In-Kontakt-Tretens und Interagierens, das seitens der betroffenen Person als grenzüberschreitend, verletzend und demütigend empfunden wird. Dazu zählen herabwürdigende Bemerkungen zu Körper und Aussehen ebenso wie unerwünschter Körperkontakt; Stalking ebenso wie körperliche Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen.« Die vollständige Broschüre ist hier verlinkt.

² Hier muss unbedingt mitgedacht werden, dass nicht nur FLINTA* von sexualisierter Diskriminierung, Belästigung und Gewalt betroffen und strukturell benachteiligt sind, sondern auch verstärkt Personen aus der LGBTQIA+ Community.

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Sarah Marcinkowski (SGU)​

Sarah braust am liebsten auf dem Fahrrad durch Berlin, immer einen Hauch zu spät und auf jeden Fall mit Helm. Daneben beschäftigt sie sich viel mit feministischen Perspektiven auf Kunst und Film, macht beim Schreiben oft die Nacht zum Tag und lauscht dabei gern einem Hörspiel. Seit Mai 2021 ist sie Teil der SGU-Redaktion.